Veranstaltungsdetails
Das „österreichische Manchester“ Brünn erhielt sein Gesicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur von den Industriellen, mit ihren Interessensverbänden und Villen, etwa der ikonischen Villa Tugendhat Mies van der Rohes, Stadt und Umgebung waren vor allem auch geprägt vom Industrieproletariat und seinen ghettoartigen Siedlungen. Viele sozialdemokratische Redaktionen hatten dort ihren Sitz, eine Reihe von tschechisch- und deutschgeschriebenen Romanen setzten sich mit der sozialen Situation kritisch auseinander. Die „Seele Brünns“ (Arne Novák), soweit man sie anhand der Romane von Karl Hans Strobl, Karl Wilhelm Fritsch oder Josef Merhaut rekonstruieren kann, ist dementsprechend eine dezidiert naturalistische. Nationale Indifferenz und Orientierungsverlust, hervorgerufen durch soziale Notlagen, werden in einer die Sprach-Grenzen übergreifenden Poetik gestaltet. Dies spricht gegen die Annahme von zwei weitgehend getrennten literarisch-sprachlichen Kulturen der böhmischen Länder.
Dr. Jan Budňák ist Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Masaryk-Universität Brünn und Mitglied der Arbeitsgruppe Germanobohemistik am Institut für tschechische Literatur der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind Alteritäts- und Identitätskonstruktionen in der Literatur und die deutschmährische und -böhmische Literatur der Moderne und der Zwischenkriegszeit.
Eintritt frei