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21. Mai 2020

Anna Kircheis: Am Anfang

 

Am Anfang … war das Wort: Coronavirus. Etwas Neues aus Asien, aus China. Wir haben in den Nachrichten die leeren Straßen von Wuhan gesehen, die Einheimischen mit ihren Masken angestarrt, doch es war alles weit entfernt von uns. Ein neuer Tsunami oder ein Erdbeben, was uns aber in unserem Alltagsleben eigentlich wenig beeinträchtigte. Im Fernseher lief ein neuer Science--Fiction. Mehr nicht.

 

In der zweiten Februarhälfte wurden die Schulen – angeblich nur für kurze Zeit – geschlossen. Unser Alltagsleben folgte aber noch immer dem gewohnten Rhythmus. Anstatt in die Schule zu gehen, trafen sich die Kinder auf Parkplätzen, spielten und wurden hauptsächlich von den Großeltern betreut. Die Eltern arbeiteten.

 

Anfang März gab es immer mehr Tote und Erkrankte, vor allem in der Lombardei und im Veneto; die Restaurants und Bars sollten schon gegen 18 Uhr schließen, Versammlungen sollten vermieden werden. Viele Barinhaber beschwerten sich, und dank der Gewerkschaften konnten die Bars länger geöffnet bleiben.

 

Mitte März eskalierte die Situation. Mehr als 1.000 Tote. Von einem Tag auf den anderen war ganz Italien ROTE ZONE. Ab dem 12. März mussten wir alle zu Hause bleiben. Die Krankheit wurde zur Pandemie erklärt.

 

Man durfte kaum mehr hinaus. Beim Lebensmitteleinkauf musste man stundenlang Schlange stehen. Außerdem waren nur noch Bäckereien, Apotheken und Zeitungskioske geöffnet. Von diesem Moment an verfolgten wir alle möglichen Nachrichten auf der Suche nach Hoffnung. Doch es gab nur schlimmste Katastrophenstimmung. Deine rechte Hand konnte deine linke Hand beschädigen.

 

Während einerseits galt: HOMO HOMINI LUPUS EST – denn jeder konnte eine potentielle „Virenschleuder“ sein –, setzten sich andererseits viele Leute ehrenamtlich ein. Man ging für die Älteren Lebensmittel einkaufen, und für Obdachlose zum Beispiel wurden an Straßenecken Lebensmittel zusammengetragen, so dass sie sich selbst bedienen konnten.

 

Wir haben in diesen Tagen und Wochen viel Angst ausgestanden. Zu Palmsonntag und zu Ostern zelebrierte der Papst auf dem Petersplatz ganz allein die Messe. Eigenartig. Es herrschte Stille. Jeder Tag war wie ein stiller Sonntag, kaum Autos auf den Straßen, die öffentlichen Verkehrsmittel leer, alles war gedämpft.

 

Am Anfang bin ich nur einmal am Tag hinausgegangen, um Brot und die Zeitung zu kaufen. Wir hatten genügend Lebensmittel auf Lager. Nach drei Wochen aber stürmten auch wir den Supermarkt. Sonst nichts.

 

Am 11. März musste ich meine Buchhandlung schließen. Was nun? Über die sozialen Medien versuchten wir, für unsere Kunden da zu sein. Und nach Ostern waren wir auch als Buchlieferanten unterwegs. Bücher waren nämlich auf die Liste notwendiger Gebrauchsgegenstände gesetzt worden, es war erlaubt, sie zu liefern. Ich war immer früh morgens mit dem Fahrrad unterwegs, um den Kunden die gewünschten Bücher zu bringen, und die Stadt stand still, zu meinen Füßen.

 

Im Moment erleben wir die sogenannte zweite Phase. Buchhandlungen dürfen wieder aufmachen. Wir haben uns entschieden, unser Geschäft zunächst nur für vier Stunden am Tag zu öffnen. Die Kunden nehmen das Angebot gern an.

 

Was haben wir bis jetzt daraus gelernt? Es gibt die Möglichkeit, sich Zeit zu nehmen. Für sich selbst, für andere. Wir haben die Tugend der Langsamkeit, verbunden mit Herz und mehr Bewusstheit, neu entdeckt. Die FREIHEIT, das Haus zu verlassen, selbst entscheiden zu können, den Ort zu wechseln, um Leute zu treffen oder Verwandte zu besuchen, ist etwas Unersetzliches, und erst jetzt sind wir uns der Wichtigkeit dieses Wertes wirklich bewusst geworden. Und noch weitaus mehr, wie unersetzlich die GESUNDHEIT ist.

 

Anna Kircheis, geboren in Mailand. Nach dem Besuch der Deutschen Schule Mailand, studierte sie Betriebswirtschaft und war einige Jahre als Wirtschaftsprüferin tätig. In München arbeitete sie fünf Jahre lang in einer PR-Agentur. Die Liebe zu den Sprachen und ihr multikultureller Lebensstil führten sie wieder nach Hause zurück, wo sie seit 17 Jahren die internationale Buchhandlung il libro führt, die vor über 40 Jahren von ihrer Mutter gegründet wurde.

 

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