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Franz Carl Weiskopf

Werkbeispiel: Abschied vom Frieden (Roman)

 

Ähnlich wie andere Exulanten hat auch Weiskopf nostalgische Blicke auf die nicht allzu entfernte Vergangenheit geworfen, die „akzeptabler“ war als die Aktualität. Davon zeugt dieser Roman, geschrieben 1939-1944 in den Vereinigten Staaten, erschienen zuerst in englischer Übersetzung 1946, deutsch dann 1950, in tschechischer Übersetzung 1959 mit dem Titel Loučení, der in Thematik und Idee von der bisherigen Weiskopfschen Epik wesentlich abweicht. Der Autor hat sich innerlich in die Welt, deren Bestehen durch das Attentat von Sarajewo von 1914 zu Ende gegangen war, in den Lebensstil der Donaumonarchie und des damaligen Prag vertieft und stellt dem Leser ein Bild des „alten Österreich-Ungarn“ vor die Augen, gestaltet von der Position eines kritischen Bewunderers aus.

 

Der scheinbar unparteiische Betrachter weiß von den verschiedenen Sünden und Schwächen des alten Systems, von dessen sprichwörtlicher Bürokratie und als patriarchalisch empfundenen Normen, aber auch von positiven Lebens- und ästhetischen Werten, welche die Existenz der bürgerlichen und Volksschichten ermöglichten und bestimmten, besonders dann von der Kultiviertheit jener Ära, von ihrem Sinn für Humor, Schönheit und Unterhaltung.

 

Dieses Buch stellt den Versuch dar, einen großen Gesellschafts- und Familienroman zu gestalten, der die Verhältnisse in der Donaumonarchie, namentlich in dem tschechischen und österreichischen Prag mit Liebe illustrieren, kritisch analysieren und karikieren, die Mentalität der Menschen von damals und die allgemeine Atmosphäre erfassen soll. Eigentlich hat hier Weiskopf weder im äußeren und inneren Inhalt, in der Darstellung des Milieus und der Romangestalten noch in der Form des Ausdrucks etwas wesentlich Neues gebracht, wenn man die Werke von Joseph Roth, Auguste Hauschner, Franz Werfel, Max Brod u. a. in Betracht zieht, sowie auch die Stiltraditionen des 19. Jahrhunderts.

 

Es wird hier eine reichhaltige Galerie von „altösterreichischen“ Figuren vorgeführt, von strengen Legitimisten und Nationalisten über biedere und unfähige Wesen, großzügige Patrizier, demokratisch gesinnte Liberale (die Hauptperson inbegriffen) bis zu „Aktivisten“, die von einem Konglomerat von Chauvinismus und Kosmopolitismus beseelt sind, und, von Hass und Habgier getrieben, den gesellschaftlichen Kampf verkünden. Hinter dem Schein eines idyllischen Daseins verbergen sich Symptome des nahenden Untergangs, hinter der scheinbaren Unbewegtheit von Staat, Gesellschaft, Bevölkerung lauert der Krieg. Jene Menschen, welche diese Symptome wahrzunehmen fähig sind, suchen potenzielle Wege zur – wenigstens vermeintlichen – Rettung.

 

Der kultivierte Prager Druckereibesitzer Alexander Reither sucht seinen Weg in kleinen, sentimental-romantischen Abenteuern, seine Enkelin Adrienne in den Abenteuern einer „revolutionären“ Unterwelt. Professor Rankl findet sein Heil in tschechenfresserischem Chauvinismus, der Hauptmann Poldi Wrbata befasst sich mehr mit kulinarischen als mit militärischen Wissenschaften. Usw. – Die Erzählweise ist bunt und unterhaltsam mit einer Dosis Hintertreppenperspektive, die Fabel berührt diverse Milieuschichten sowie auch diverse historische und fiktive, damalige Sensationen und Skandale. Stil und Komposition sind geschliffen, die oft anekdotisch gestalteten Episoden greifen raffiniert ineinander. Von Weiskopfs „literarischer Eleganz“ zeugen mehrere Genrebilder aus dem Leben Prags und Wiens. Die Kraft der Aussage des Ganzen hält allerdings nicht Schritt mit der erwähnten Eleganz. – Ob Weiskopf bereits in der Kriegszeit daran gedacht hat, dem Roman eine umfangreiche Fortsetzung folgen zu lassen, ist ungewiss. Jedenfalls erschien 1948 in Englisch und 1951 in Deutsch ein anknüpfender Roman Inmitten des Stromes, als zweiter Teil einer beabsichtigten Trilogie namens Kinder ihrer Zeit. Der letzte vorhergesehene Teil Welt in Wehen ist Fragment geblieben. Der Verfasser wollte wohl den Übergang Prags vom „Altösterreichischen“ in die desillusierende Nachkriegszeit mit vordringenden sozialistischen Illusionen darstellen, doch fand er dazu keine richtige Lust mehr. Attraktive, vom Autor geliebte Motive sind ausgegangen, es blieb nur ein „ernüchternder“ Blick auf eine nicht mehr ästhetische Welt und routinehaftes Fabulieren. Der Abschied vom Frieden wirkt besser als selbständiges Werk denn als Bestandteil der genannten konfusen Trilogie.

 

Ludvík Václavek

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