Neu auf YouTube:
Vortragsreihe in Kooperation mit dem Bohemicum – Center for Czech Studies der Universität Regensburg, dem Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Institut für tschechische Literatur der tschechischen Akademie der Wissenschaften.
Die Aufnahmen der Vorträge werden schrittweise auf unserem Youtube-Kanal veröffentlicht.
Vortragende:
Elena Giovannini, Professorin für Germanistik an der Università del Piemonte Orientale, Vercelli, Italien. Vortrag: Kafka intermedial. „Das Urteil“ als Graphic Novel
Andreas B. Kilcher ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an der ETH Zürich. Er ist der Autor der Monographie „Franz Kafka. Leben. Werk. Wirkung“ (2008) und Herausgeber von „Franz Kafka: Die Zeichnungen“ (2021). Dieses Jahr erscheint sein Buch „In Kafkas Werkstatt“. Zum Vortrag: Kafka und der Zionismus
Marek Nekula ist Professor für Bohemistik und Westslavistik am Bohemicum – Center for Czech Studies der Universität Regensburg. Zum Vortrag: Kafka und die tschechische Literatur revisited
Juliane Prade-Weiss, Professorin am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zum Vortrag: Kafkas Klagen. Zur Poetik der Beschwerde
Veronika Tuckerová, Department of Slavic Languages and Literatures an der Harvard University. Vortrag: Mediators, Translators, Readers. The Reception of Franz Kafka in Czechoslovakia
Die Begleitpublikation zur Pilsener Ausstellung über Franz Kafkas Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst ist auf Englisch oder Tschechisch bei uns erhältlich.
Die unbefristete Vollzeitstelle ist zum 1. November 2024 zu besetzen.
Ihr Profil:
Ihre Aufgaben:
Wir bieten an:
Die berufliche Gleichstellung von Frauen und Männern wird gefördert. Bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung werden Frauen nach dem Bundesgleichstellungsgesetz, schwerbehinderte Menschen nach Maßgabe des Sozialgesetzbuchs IX besonders berücksichtigt.
Bewerbung
Die Bewerbung mit den üblichen Unterlagen ist per E-Mail an sekretariat@stifterverein.de zu richten.
Kontakt:
Adalbert Stifter Verein e.V.
Hochstraße 8 81669 München
T: 622 716 30
E: sekretariat@stifterverein.de
Ein Nachruf von Peter Becher
Mit Peter Demetz, der das unglaublich hohe Alter von 101 Jahren erreicht hat, ist der letzte der großen Prager Germanisten gestorben, nach Hugo Siebenschein, Eduard Goldstücker und Kurt Krolop. Wen auch immer man von Demetz sprechen hörte, stets war die Stimme einen Grad wärmer und einen Ton heller. Als Prager Augenzeuge eines ganzes Jahrhunderts hat er nicht nur erlebnisreiche Kinder- und Jugendjahre in Prag und Brünn verbracht, sondern auch früh erleben müssen, wie seine Lebenswelt immer enger und bedrohlicher wurde, wie der nationalistische und rassistische Wahn das fragile Gebilde der tschechoslowakischen Demokratie in wenigen Jahren zerstörte, eine Demokratie, die vielleicht zu einem stabilen Faktor der mitteleuropäischen Staatengemeinschaft geworden wäre, wenn sie nur 10, 15 Jahre länger Zeit gehabt hätte, ihre unterschiedlichen Nationalitäten zu integrieren und ein gemeinsames Staatsempfinden zu entwickeln.
Wieviel Kraft muss es gekostet haben, nach der Trennung seiner Eltern, dem Tod seiner Mutter in Theresienstadt und der Zwangsarbeit wieder neue Zuversicht zu schöpfen. Wie groß mag schon bald die Enttäuschung nach der kommunistischen Machtergreifung gewesen sein, als er das Siebenscheinsche Seminar verließ und den Weg ins Exil einschlug. Demetz ging über die grüne Grenze nach München, wo er für Radio Free Europe arbeitete, schließlich emigrierte er weiter in die USA, wo er noch einmal studierte, an der Yale University zum zweiten Mal promovierte und dort zuletzt eine Professur für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft innehatte.
Als ich 1986 die Geschäftsführung des Adalbert Stifter Vereins übernahm, hat Demetz auf meine Anfragen zum Tschechoslowakischen Staatspreis postwendend geantwortet, - postwendend, das war damals, als es bei uns weder Fax noch Email gab, noch ganz wörtlich zu verstehen: Die Post brachte mit jedem Brief aus dem Ausland das prickelnde Gefühl einer besonderen Sendung ins Büro, das durch die ausländische Briefmarke und das amerikanische Briefformat ebenso verstärkt wurde wie durch den Absender und die nicht selten handschriftlich verfasste Anschrift.
Das Münchner Kolloquium über Josef Mühlberger (1987) und das Berliner Kolloquium über den Prager Kreis (1988) waren weitere Stationen der Begegnung, aus denen regelmäßige Besuche wurden, wenn der Reiseweg von Demetz nach München führte. Meist war es das Hotel Schlicker im Tal, in dem wir ein Zimmer für ihn besorgten, in dem er gerne abstieg, vielleicht, weil es sich auch "Zum goldenen Löwen" nennt, was eine Reminiszenz an den böhmischen Löwen bewirkt haben mag.
Zu den gemeinsamen Veranstaltungen zählten die "Rede zur Kultur", die Demetz im Rahmen der Bayerisch- Böhmischen Kulturtage 1993 in Passau hielt, und die Begegnung mit Fritz Beer in Brünn ein Jahr später, den wir zu einer Lesung in seiner Geburtsstadt eingeladen hatten. Damals trafen wir tschechische Autoren des PEN-Klubs und der mährisch-schlesischen Schriftstellergemeinde, die auf ihre alten Landsleute neugierig waren, die ihre Sprache so gut beherrschten und schon deshalb zu ihnen gehörten.
Es war stets eine Freude, Demetz zu sprechen und seine Beiträge und Bücher zu lesen. Was er mir und vielen anderen vermittelt hat, geht weit über die bloße Fachlektüre hinaus. Er hat den Menschen meiner Generation Einblicke in die Lebenswelt unserer böhmischen Elterngeneration vermittelt, die wir nirgendwo sonst so stimmgenau, nachdenklich und eindrucksvoll vermittelt bekommen haben.
In der Nacht vom 29. auf den 30. April ist Peter Demetz im Krankenhaus von Highland Park, New Jersey gestorben. Seiner Frau Paola Gambarota, seinem Neffen Peter Brod und allen weiteren Verwandten gilt unser tief empfundenes Mitgefühl.
Ab Mitte September sind die Lyrikerin A. Steigerwald, die in München aufgewachsen ist und derzeit in Hamburg lebt, und die tschechische Autorin und Illustratorin K. Plíhalová zu Gast im südböhmischen Oberplan/Horní Planá als die diesjährigen Stifter-Stipendiatinnen.
Neu auf Youtube:
Caro Matzko ist als Moderatorin aus Radio und Fernsehen bekannt: bei Bayern 2 in Eins zu Eins. Der Talk oder als Kolumnistin der Glosse Ende der Welt, auf dem Planet Wissen, als Sidekick in der bekannten Sendung Ringlstetter oder als Podcasterin ihrer eigenen Abendshow (ARD-Mediathek). Ihre journalistische Arbeit begann Caro Matzko schon während ihres Studiums der Kommunikationswissenschaften, Politik und Soziologie in München.
Matzkos Vater, Jahrgang 1934, stammt aus Osterode in Ostpreußen und musste als 10-jähriger seine Heimat verlassen. Ein Trauma, das Auswirkungen bis heute und auch auf Caros Leben hat: In ihrem gemeinsam mit Tanja Marfo verfassten Buch Size egal – Dein Selbstbewusstsein kann nicht groß genug sein, das sich mit ihrer Magersucht und Essstörungen auseinandersetzt, thematisiert Matzko die Bedeutung ihrer Familiengeschichte für die Krankheit und die Auswirkungen auf die eigene emotionale Stabilität. Vor allem darauf, aber auch auf viele andere Facetten ihres Lebens wird das Gespräch eingehen.
Die Matzkoʼsche Familiengeschichte wird auch eindrucksvoll von Regisseurin Maike Conway gezeigt, die das Leben und den Werdegang der Moderatorin in der BR-Reihe Lebenslinien mit dem Titel Caro Matzko – Trauriges Mädchen, witzige Frau porträtierte. Caro Matzkos Lebenslinien wurden im Mai 2023 ausgestrahlt.
Moderation: Wolfgang Schwarz
Ab Dienstag, den 2. bis Freitag, den 5. April 2024 bleibt das Büro des Adalbert Stifter Vereins für die Öffentlichkeit geschlossen und kann nur per Telefon bzw. E-Mail erreicht werden.
Während des 28. Bohemistentreffens findet im Foyer des Sudetendeutschen Hauses wieder eine Abgabe von doppelt vorhandenen Büchern der Wissenschaftlichen Bibliothek statt. Monographien, Bildbände, Zeitschriften, Jahrbücher, Kalender, Karten, CDs zur Geschichte der böhmischen Länder, der Slowakei sowie der Sudetendeutschen können gegen eine kleine Spende mitgenommen werden. Die Bücher sind am am 29. Februar von 17–18 Uhr und am 1. März von 10–18 Uhr zu besichtigen und zu erwerben.
(1931–2024)
Nun hat auch er sich von uns verabschiedet, František Černý, der fast die ganze Zeit seines Lebens in Prag an der Moldau gewohnt hat, der Radius seines Lebens kaum größer als der Franz Kafkas, an den wir uns in diesem Jahr landauf, landab erinnern. Wie dieser hat Černý einige Zeit in Berlin verbracht, nicht als Schriftsteller, dem die Kehlkopferkrankung und die rasende Inflation zu schaffen machten, sondern als Gesandter und schließlich Botschafter seines Staates, dessen Amtszimmer mehr einer Gelehrtenstube als einem kühlen Diplomatenzimmer glich. Alles war aufregend und neu in diesen ersten Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer, Ost und West wuchsen knirschend zusammen, am Potsdamer Platz streckten sich stählerne Dinosaurier in den Himmel, das Ehepaar Christo verhüllte den Reichstag, der Bundestag und das Bundeskanzleramt zogen von Bonn nach Berlin. Und Černý bewegte sich zwischen Ministern und Diplomaten ebenso traumwandlerisch leicht und ungezwungen wie zwischen Schriftstellern und Germanisten, ganz so, als ob er das seit Jahr und Tag gewohnt gewesen wäre.
Doch was wussten wir, die wir ihm damals zum ersten Mal begegneten, von seinem bisherigen Leben? Hat er je davon erzählt? Mit nicht ganz 8 Jahren erlebte er die Besetzung Prags durch die deutsche Wehrmacht, ein halbes Jahr später den Beginn des 2. Weltkriegs, mit nicht ganz 11 Jahren das Attentat auf Reinhard Heydrich und die furchtbaren Rachemaßnahmen, mit nicht ganz 14 Jahren den Prager Aufstand, das Kriegsende, die Misshandlung und Zwangsaussiedlung der Deutschen. Die kommunistische Machtübernahme erlebte er mit 17 Jahren, die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 mit 37 Jahren. Wieviel Hoffnung mag die Liberalisierung in ihm geweckt, wieviel Zuversicht der Überfall der russischen Panzer vernichtet haben? Černý hatte 20 bleierne Jahre vor sich und war bereits 58, als die Samtene Revolution das kommunistische Regime beendete. Was für ein Schicksal, und doch standen ihm die wirkungsvollsten Jahre seines Lebens noch bevor! Er wurde Gesandter und Botschafter, Vorsitzender der Union für gute Nachbarschaft und des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren.
Er nahm an unzähligen Treffen in Berlin, Dresden, Leipzig, Prag, Brünn und Budweis teil, er begleitete Lenka Reinerová zu den Begegnungen in Stifters Geburtsort Oberplan und saß dort mit den Teilnehmern bis weit nach Mitternacht singend und diskutierend zusammen. Černý war ein Menschenfreund durch und durch, und er wurde mit Preisen geehrt: Gemeinsam mit Altbundespräsident Richard von Weizsäcker erhielt er 1996 in Dresden den Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung, 2001 nach der Beendigung seiner Botschaftertätigkeit in Berlin das Bundesverdienstkreuz, 2002 den Ricarda-Huch-Preis in Darmstadt, 2022 den Wenzel-Jaksch-Gedächtnis-Preis der Seliger-Gemeinde.
Černý zählte zu dem Kreis der bekanntesten Intellektuellen Böhmens und Mährens, zu dem so früh verstorbenen Vladimír Kafka, mit dem er das Geburtsjahr teilte, dem Vater des heutigen Botschafters der Tschechischen Republik in Berlin, zu Eduard Goldstücker und Lenka Reinerová, zu Jiří Dienstbier, Jiří Gruša und Václav Havel, die alle drei im Jahr 2011 verstorben sind, zu Ludvík Vaculík und Kurt Krolop.
Nun ist auch Černý ihnen nachgefolgt, der nie älter zu werden schien, und wir bleiben mit Trauer und Dankbarkeit zurück, dankbar ganz besonders auch für das, was er für den Adalbert Stifter Verein getan hat, und rufen ihm nach: Leb wohl, milý Franto, hab Dank für die Freundschaft, die Du uns gewährt hast und geh so leicht und heiter auf den himmlischen Pfaden weiter wie Du uns auf der Erde begegnet bist.
Peter Becher
Neu auf Youtube:
Ivan Liška, Tänzer, Choreograph und langjähriger Leiter des Bayerischen Staatsballetts, wurde in Prag geboren. Ausgebildet am Prager Konservatorium und am dortigen Nationaltheater tätig, entschloss er sich nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei 1968 zur Emigration. U. a. wirkte er in Düsseldorf an der Deutschen Oper am Rhein, in München am Bayerischen Staatsballett und an der Staatsoper Hamburg als Tänzer. Von 1998 bis 2016 war er Direktor des Bayerischen Staatsballets, mit dem er Tourneen zu vielen Bühnen der Welt (Prag, St. Petersburg, Madrid, Budapest etc.) durchführte.
Wolfgang Schwarz, Kulturreferent für die böhmischen Länder im Adalbert Stifter Verein, unterhält sich mit ihm über seine Eindrücke von Deutschland, seine Zeit in München, über interkulturelle Ebenen der Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen sowie über seine künstlerische Laufbahn.
Ein Angebot des Kulturreferats für die böhmischen Länder
Anlässlich des 100. Todestags des Schriftstellers und gebürtigen Pragers Franz Kafka, der sich am 3. Juni 2024 jährt, hat der Adalbert Stifter Verein ein Partner-Netzwerk und Veranstaltungsplattform Kafka 2024 ins Leben gerufen.
An vielen Orten und in vielen Veranstaltungen, in Büchern, Blogs, Podcasts und sogar Videospielen wird an ihn und sein Vermächtnis erinnert, es wird nochmal mehr deutlich, wie aktuell und inspirierend seine Texte und seine Reflexionen des Lebens und der Kunst sind. In der multikulturellen Stadt Prag in Deutsch und Tschechisch aufgewachsen, erlebte Kafka nicht nur die gegenseitige Befruchtung und Überschneidung der deutschen, tschechischen und jüdischen Kulturen, sondern auch den steigenden Nationalismus und auch Antisemitismus, Themen, die uns heute ebenfalls beschäftigen. Und nicht zuletzt achtete er zeitgemäß auf gesunden Lebensstil und Ernährung, möglicherweise ist nicht allgemein bekannt, dass er Vegetarier war.
Der Jahrestag bietet nicht nur die Möglichkeit, Kafkas Werk und Leben aus aktuellen und neuen Perspektiven zu betrachten. Das Jubiläum ist auch eine Gelegenheit, den Blick auf das tschechisch-deutsche kulturell Erbe und den gegenseitigen Austausch und Einfluss beider Kulturen und Nationen bis in die Gegenwart zu richten.
Kafka 2024 verbindet dazu bewusst die Akteure, die sich in ihrem Programm dem deutschsprachigen, in der böhmischen Metropole Prag geborenen Autoren widmen werden, insbesondere in der Tschechischen Republik, Deutschland und Österreich. Sie bringt zweisprachige Informationen über Veranstaltungen in den einzelnen Städten, über Wettbewerbe und Ausschreibungen, Hintergrundinformationen über Franz Kafka, Blogs und noch einiges mehr. Die Plattform, die im Herbst 2023 gelauncht wird, soll auch ein zentraler Punkt für Informationen über Franz Kafka und den Kontext seines Lebens und Werks sein.
Das Projekt steht unter der Schirmherrschaft des tschechischen Kulturminister Martin Baxa und der Schirmfrauschaft der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Claudia Roth.
Es wurde vom Adalbert Stifter Verein (München) initiiert und koordiniert und entsteht in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Prag / Prag – UNESCO Stadt der Literatur. Beteiligt sind unter anderem das Goethe-Institut Prag, das Österreichische Kulturforum, die Tschechischen Zentren, das Literaturmuseum der Tschechischen Republik in Prag, Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg, Deutsches Kulturforum östliches Europa in Potsdam, Botschaft der Tschechischen Republik in Berlin, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag, Münchner Stadtbibliothek, Literaturhaus München, Institut für Germanistik an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität, Gesellschaft für interkulturelle Germanistik, Franz-Kafka-Gesellschaften in Prag und Wien, das Tschechische Literaturzentrum, die Westböhmische Galerie in Pilsen und Münchner Volkshochschule. Berater und Kurator einiger der Veranstaltungen ist Reiner Stach, einer der führenden Experten für Kafkas Werk und Leben.
Informationen über alle Projektpartner finden Sie hier.
Gefördert haben das Projekt die Beaftraugte der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds.
Zwölf ausgewählte Lebensbilder
Die dritte (aktualisierte und leicht erweiterte) Auflage des Buches stellt die Wurzeln bekannter Persönlichkeiten aus dem deutschen Kultur- und Sprachkreis der böhmischen Länder vor. Beiträge zu Bertha von Suttner, Ferdinand Porsche, Oskar Schindler, Adalbert Stifter, Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Otfried Preußler, Gregor Mendel, Marie von Ebner-Eschenbach, Gustav Mahler, Karl Kraus, Sigmund Freud.
Mit themenbezogenen Zitaten werden auch weitere Bekanntheiten wie z. B. Ruth Maria Kubitschek, Friedrich von Thun, Alfred Biolek oder Christoph Kardinal Schönborn aufgeführt, deren Wurzeln in den böhmischen Ländern liegen.
München: 2023. 109 Seiten. ISBN: 978-3-940098-23-8. 8,00 € zzgl. Versandkosten
Nachruf auf Pater Angelus Waldstein-Wartenberg (1931–2023)
Pater Angelus Waldstein-Wartenberg OSB, der zwei Wochen vor seinem 93. Geburtstag am 27. Dezember 2023 gestorben ist, war eine jener Mittlerpersonen der deutsch-tschechischen Verständigung, wie man sie sich besser nicht wünschen konnte.
Wer ihm begegnete, behielt seine Erscheinung im Gedächtnis, schwarz gekleidet mit Soutane und Kollar, seinen Kopf mit dem schneeweißen Haar, so machte er einen nachhaltigen Eindruck, in kirchlichen wie in weltlichen Kreisen. Aus altem böhmischem Adel stammend, aus der Waldstein-Wallenstein-Familie, war er in der deutschen wie in der tschechischen Sprache gleichermaßen bewandert. Die Lektüre Prager Zeitungen zählte zu seinem täglichen Brot, seine poetische Begabung war die Grundlage zahlreicher Lieder, Gedichte und Feuilletons, die er verfasste. Schon als Schüler kam er nach der Zwangsaussiedlung aus seiner böhmischen Heimat nach Kloster Ettal, später wirkte er hier als Priester, Schulleiter und zuletzt als dienstältester Benediktiner von ganz Bayern. Seine Zugehörigkeit zur katholischen Ackermann-Gemeinde machte ihn zu einem Repräsentanten der sudetendeutschen Heimatvertriebenen, ebenso seine Mitgliedschaft im Adalbert Stifter Verein, dem er jahrelang als Vorstandsmitglied und zuletzt als Ehrenmitglied angehörte. Lange vor der Samtenen Revolution von 1989 stand er in Kontakt mit Exilanten und Dissidenten, von denen er Václav Havel besonders verehrte und seinen Schülern nahebrachte. Im Jahr 2003 erhielt er in Budweis gemeinsam mit Bischof František Radkovský aus Pilsen den Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung, der als Doppelpreis jeweils an eine deutsche und eine tschechische Persönlichkeit verliehen wurde.
Wenn sich böhmische Freunde in München trafen, zu denen Johanna von Herzogenberg ebenso zählte wie Leonhard Reinisch, Ota Filip, Marianne Pasetti und Traut Felgentreff-Reinisch war er stets dabei. Als ich im Januar 1986 meine Tätigkeit im Stifter Verein aufnahm, lag auf dem sonst leeren Schreibtisch eine Grußkarte aus Ettal, mit der er mir Mut und Durchhaltevermögen zusprach. Zu den schönsten Erinnerungen zählt die Begegnung mit den Schriftstellern Ludvík Vaculík, Jan Trefulka und Lenka Procházková im Januar 1990 in München. Nach Lesungen, Gesprächen und sangesfreudigen Nachtstunden, in denen die Prager Ereignisse und die Wahl von Václav Havel zum Staatspräsidenten noch vibrierend gegenwärtig waren, brachten wir die tschechischen Autoren am 28. Januar, dem Todestag von Adalbert Stifter, zum Münchner Hauptbahnhof. Unvergessen das Bild der weißhaarigen Köpfe von Pater Angelus und Ludvík Vaculík, wie sie sich in der Bahnhofswirtschaft gegenübersaßen, unvergessen das Kreuzzeichen, das Angelus allen Autoren zum Abschied auf die Stirn machte. Mit seinem Einfühlungsvermögen, seiner Anteilnahme und seiner Güte hat er sich auf beeindruckende Weise für die Versöhnung von Deutschen und Tschechen eingesetzt.
Peter Becher