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Abschied von František Černý

(1931–2024)

Nun hat auch er sich von uns verabschiedet, František Černý, der fast die ganze Zeit seines Lebens in Prag an der Moldau gewohnt hat, der Radius seines Lebens kaum größer als der Franz Kafkas, an den wir uns in diesem Jahr landauf, landab erinnern. Wie dieser hat Černý einige Zeit in Berlin verbracht, nicht als Schriftsteller, dem die Kehlkopferkrankung und die rasende Inflation zu schaffen machten, sondern als Gesandter und schließlich Botschafter seines Staates, dessen Amtszimmer mehr einer Gelehrtenstube als einem kühlen Diplomatenzimmer glich. Alles war aufregend und neu in diesen ersten Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer, Ost und West wuchsen knirschend zusammen, am Potsdamer Platz streckten sich stählerne Dinosaurier in den Himmel, das Ehepaar Christo verhüllte den Reichstag, der Bundestag und das Bundeskanzleramt zogen von Bonn nach Berlin. Und Černý bewegte sich zwischen Ministern und Diplomaten ebenso traumwandlerisch leicht und ungezwungen wie zwischen Schriftstellern und Germanisten, ganz so, als ob er das seit Jahr und Tag gewohnt gewesen wäre.

Doch was wussten wir, die wir ihm damals zum ersten Mal begegneten, von seinem bisherigen Leben? Hat er je davon erzählt? Mit nicht ganz 8 Jahren erlebte er die Besetzung Prags durch die deutsche Wehrmacht, ein halbes Jahr später den Beginn des 2. Weltkriegs, mit nicht ganz 11 Jahren das Attentat auf Reinhard Heydrich und die furchtbaren Rachemaßnahmen, mit nicht ganz 14 Jahren den Prager Aufstand, das Kriegsende, die Misshandlung und Zwangsaussiedlung der Deutschen. Die kommunistische Machtübernahme erlebte er mit 17 Jahren, die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 mit 37 Jahren. Wieviel Hoffnung mag die Liberalisierung in ihm geweckt, wieviel Zuversicht der Überfall der russischen Panzer vernichtet haben? Černý hatte 20 bleierne Jahre vor sich und war bereits 58, als die Samtene Revolution das kommunistische Regime beendete. Was für ein Schicksal, und doch standen ihm die wirkungsvollsten Jahre seines Lebens noch bevor! Er wurde Gesandter und Botschafter, Vorsitzender der Union für gute Nachbarschaft und des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren.

Er nahm an unzähligen Treffen in Berlin, Dresden, Leipzig, Prag, Brünn und Budweis teil, er begleitete Lenka Reinerová zu den Begegnungen in Stifters Geburtsort Oberplan und saß dort mit den Teilnehmern bis weit nach Mitternacht singend und diskutierend zusammen. Černý war ein Menschenfreund durch und durch, und er wurde mit Preisen geehrt: Gemeinsam mit Altbundespräsident Richard von Weizsäcker erhielt er 1996 in Dresden den Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung, 2001 nach der Beendigung seiner Botschaftertätigkeit in Berlin das Bundesverdienstkreuz, 2002 den Ricarda-Huch-Preis in Darmstadt, 2022 den Wenzel-Jaksch-Gedächtnis-Preis der Seliger-Gemeinde.

Černý zählte zu dem Kreis der bekanntesten Intellektuellen Böhmens und Mährens, zu dem so früh verstorbenen Vladimír Kafka, mit dem er das Geburtsjahr teilte, dem Vater des heutigen Botschafters der Tschechischen Republik in Berlin, zu Eduard Goldstücker und Lenka Reinerová, zu Jiří Dienstbier, Jiří Gruša und Václav Havel, die alle drei im Jahr 2011 verstorben sind, zu Ludvík Vaculík und Kurt Krolop.

Nun ist auch Černý ihnen nachgefolgt, der nie älter zu werden schien, und wir bleiben mit Trauer und Dankbarkeit zurück, dankbar ganz besonders auch für das, was er für den Adalbert Stifter Verein getan hat, und rufen ihm nach: Leb wohl, milý Franto, hab Dank für die Freundschaft, die Du uns gewährt hast und geh so leicht und heiter auf den himmlischen Pfaden weiter wie Du uns auf der Erde begegnet bist.

Peter Becher

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